Auszug: Mischka POV

Diese Story stellt die Vorgeschichte zu den Stories um Verena und Mischka da. Zudem spielt sie im selben Universum wie die Geschichten um Dodo und Sven, und es gibt diverse Verknüpfungspunkte.

Das Ganze wird deutlich länger ausfallen, und sich womöglich in Richtung eines Romans oder Fortsetzungsromans entwickeln. Das bedeutet, es wird noch viel Zeit ins Land gehen, bis es vollendet ist. Das hier ist sozusagen ein Vorgeschmack, der auch hilft, die Protagonisten etwas besser kennen zu lernen.

1)
Ist schon irgendwie merkwürdig, dass man ein schönes Gesicht so viel weniger detailreich beschreiben kann, als ein hässliches. Natürlich, laut Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie, zeichnet sich Schönheit beim Menschen vor Allem durch die Durchschnittlichkeit der Attribute aus. (Erinnerungsfetzen: Vorlesung Wahrnehmung und Ästhetik bei Professor Ulbrecht) Forscher haben tausende von Bildern übereinander gelegt, und daraus einen Durchschnitt gebildet, und das dadurch entstandene Bild wurde in Tests als außergewöhnlich attraktiv empfunden.

So gesehen ist Schönheit eigentlich langweilig. Aber wenn Schönheit langweilig ist, warum sitze ich hier, völlig vertieft in den Anblick dieses Gesichts? Ich denke an Anton aus der IT. Er ist nicht schön. Ganz im Gegenteil. Über sein Gesicht, sein Äußeres könnte ich ausführlich, geistreich und abwechslungsreich locker eine ganze Seite schreiben. Aber über Verena?

Im Moment ist sie für mich die schönste Frau der Welt, aber mir fehlen die Worte. Also starre ich sie an, und höre ihr halbherzig dabei zu, wie sie redet. Sie spricht gerade mit Franzi. Und Franzi wirkt mäßig begeistert. Das hat natürlich seine Gründe. Franzi ist vermutlich alles Andere als glücklich, dass Verena jetzt hier heute dabei ist. Ich gebe ihr noch 20 Minuten, schätze ich, dann wird sie sich verabschieden. Sie wird vermutlich versuchen, mich dazu zu bewegen, sie zu begleiten. Aber es wird ihr nicht gelingen. Ich werde hier mit Verena bleiben. Und Franzi weiß das. Trotzdem wird sie diese Machtprobe suchen, und sie wird sie erwartungsgemäß verlieren. Und darüber wird sie wütend sein, und vielleicht auch persönlich verletzt, aber sie wird sich nicht mit mir streiten, denn sie gefällt sich sehr in der Rolle der unzickigen unkomplizierten modernen Frau.

Vielleicht ist es gemein und ein bisschen herzlos von mir, und man würde es von einem Gentleman anders erwarten, aber sie ist nunmal nicht meine Freundin, und hat darum keinen Anspruch auf diese Art Loyalität meinerseits. Obwohl es natürlich ritterlicher wäre, Franzi zumindest bis zum Hotel zu begleiten. Immerhin kennt sie sich in Hamburg nicht aus. (Genauso wenig wie ich übrigens). Auf der anderen Seite ist der Weg von hier zum Hotel denkbar einfach, und verdammt, zur Not soll sie sich halt ein Taxi nehmen, der Chef zahlt schließlich. Und ich werde den Teufel tun, diesen Abend jetzt an dieser Stelle zu beenden. Ist nicht so, dass ich einen Plan für den Abend hätte, ich werde mich einfach treiben lassen, und genieße derweil die Fahrt, egal, wohin es uns fühlt.

Morgen auf der Heimfahrt im Zug wird Franzi vermutlich ein paar spitze Bemerkungen fallen lassen. Vielleicht werde ich ihr erklären, was hier gerade passiert und warum. Vielleicht auch nicht. Eigentlich stehen wir uns gar nicht so nahe, dass ich mit ihr über diese Dinge reden möchte. Nicht so nahe, wie sie es gerne hätte, denke ich. Auf der anderen Seite habe ich ihr diese Woche ganz schön viel zugemutet, und vielleicht wäre es im Interesse des lieben Friedens doch angebracht, sie ins Vertrauen zu ziehen.

Ich lasse die Gedanken schweifen, und konzentriere mich wieder auf das Gesicht der Frau uns gegenüber. Auch wenn es einen Stich tief in die Magengegend verursacht, gefolgt von einem wohligen Kribbeln im ganzen Bauch.

Einfach alles an diesem Gesicht ist perfekt. Die warmen braunen Augen mit den schönen langen Wimpern, die perfekt geschwungenen Augenbrauen, die kaum geschminkten weichen aber klar konturierten Lippen, die eleganten Wangenknochen, die schönen, ebenmäßigen weißen Zähne. Und abgerundet wird das Bild von einer wahren Pracht gepflegter dunkelbrauner Haare, die bis über die Schultern reichen. Heute Mittag waren sie noch zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden, doch nun trägt sie sie offen. Und es sieht umwerfend aus. (Franzi wir mir morgen erzählen, dass sie Verena langweilig und brav fand, typisch Reisekauffrau-Tussi eben).
In jedem Gesicht gibt es diese kleinen Dinge, die besonders sind. In Verenas Gesicht ist das ein kleines Grübchen am linken Mundwinkel, das man nur sieht, wenn sie lächelt, und ein in manchen Situationen vielleicht minimal zu resolut vorgeschobenes Kinn.

Aber das, was mich am Meisten trifft, ganz tief drin, ist die Vertrautheit dieses Gesichts. Die einzelnen Aspekte, die Linien, nicht zuletzt die Mimik kommen mir so wahnsinnig bekannt vor, dass es fast unheimlich ist. Im Moment ist sie für mich die schönste Frau der Welt, wird es von nun an vielleicht immer bleiben, und alle anderen Frauen werden sich an diesem Ideal messen lassen müssen. Aber was mich neben ihrer offensichtlichen Schönheit gerade so in den Bann schlägt: sie sieht der Frau, die diese Position bis kurz zuvor noch inne hatte, wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich. Nur jünger und noch eine Spur perfekter.
Diese Ähnlichkeit ist natürlich kein Wunder. Dieses andere Gesicht, das mich in all diesen Jahren verfolgt hat, gehört Julia.

Verena ist Julias jüngere Schwester.

Wie sich die Dinge manchmal so treffen, ist schon schräg. Hier sitzen wir nun in dieser Kneipe, die sich nicht recht entscheiden kann zwischen authentisch alternativ und hipsterschick, mitten im Schanzenviertel. Meine Kollegin Franzi und ich aus Berlin, eigentlich hier auf Geschäftsreise, zusammen mit Verena, die seit etwas über einem Jahr in der Stadt lebt, und die ich heute Mittag zufällig getroffen habe. Oder vielleicht sollte man sagen, die mich getroffen hat. Ich hätte sie vermutlich auf den ersten Blick nicht wieder erkannt. Oder ich hätte sie für ein De ja-Vu gehalten. Und meine Gedanken wandern zurück in eine andere Zeit an einen anderen Ort, tief in der schwäbischen Provinz.

Es geht um das, was ich Franzi morgen auf der Heimfahrt vielleicht erzählen werde, wenn wir mit dem anderen Thema, dem Eklat beim Meeting von heute Mittag, durch sind. Vielleicht reichen die Eindreiviertel Stunden Zugfahrt. Vielleicht nicht. Es war eine turbulente Woche. Beruflich wie privat. Wir werden sehen.
Es geht um Freundschaft und Liebe, es geht um Verrat und Trennung. Es geht um drei Menschen. Julia, Sven und Mischka, also meine Wenigkeit. Damals am Gymnasium in der Kleinstadt am Neckar haben wir uns gesucht und gefunden. Julia und ich besuchten die selbe Klasse, Sven die Parallelklasse.

Wir kamen aus verschiedenen, aber nahe beieinander gelegenen Käffern, und aus völlig unterschiedlichen Familien. Ich bin zum Beispiel ein typischer Lehrersohn. Meine Eltern arbeiten beide am anderen Gymnasium im Ort. Und wie es sich so gehörte damals, waren sie in ihrer Jugend stark 68er geprägt, und hatten sich dann bequem im aufgeklärten links-liberalen Bildungsbürgertum eingerichtet. Die typischen Zeit-Leser mit eigenem Haus, zwei Mittelklasse-Kombis in der Garage, aber im Herzen alternativ.

Julias Eltern dagegen waren erzkonservativ. Ihr Vater hatte einen Job bei einem größeren gehobenen schwäbischen Autobauer in der Verwaltung, ihre Mutter war eine typische schwäbische Hausfrau. Das sollte man jetzt nicht falsch verstehen. Julias Mutter war eine herzensgute Frau, und wir alle haben sie geliebt. Aber sie lebte ein sehr traditionelles Leben und ging in der damit einhergehenden Rolle auf. Wir hingen oft bei Julia ab, was auch mit den Koch- und Backkünsten ihrer Mutter zu tun hatte.

O.k., das schweift jetzt zwar total ab, aber ich denke, dass diese frühen Dinge uns schon ganz schön prägen, und einiges erklären, was dann später passiert. Bei Sven war das wirklich ziemlich offensichtlich. Er kam aus ganz anderen Verhältnissen. Sein Vater war Bulle. Nicht nur irgendein Polizist, sondern Kriminalpolizist. Was ich gehört habe, ist er mittlerweile beim LKA. Seine Mutter arbeitete irgendwo als Sekretärin. Wo war eigentlich nicht wichtig, da es bei Sven daheim immer um den Vater ging. Svens Mutter war ebenfalls eine schöne Frau, aber kalt und distanziert, und immer irgendwie verkniffen. Ihm gegenüber, aber auch zu seinem Vater. Ich nehme an, es war eine Abwehrreaktion.
Ich sage das nicht oft und auch nicht gerne über Menschen, aber in diesem Fall kann man es kaum anders ausdrücken – Svens Vater war ein Arschloch, wie es im Bilderbuch steht.

Er war einer von diesen Männern, die zu wahnhafter Selbstüberhöhung und -überschätzung neigen, aber gleichzeitig unter latenten Minderwertigkeitskomplexen leiden. Ihre eigenen Unzulänglichkeiten, derer sie sich in klaren Momenten durchaus bewusst sind, kompensieren sie durch extrem autoritäres Alphatier-Gehabe. Wehe, wenn solche Menschen in Autoritätspositionen gelangen.
Svens Vater war laut, jähzornig, autoritär, kleinlich und nachtragend. Er war einer von den Menschen, die Zweifel oder Kritik an - oder gar offenen Widerspruch gegenüber ihren Ansichten immer als persönlichen Angriff verstehen.
Und das Problem war nicht nur, dass seine Ansichten in der Regel ziemlich altbacken waren, sondern dazu auch sehr eindimensional. Svens Vater dachte in klaren Kategorien. Für ihn war die Welt sauber in schwarz und weiß gestrichen. Es gab zu jedem Thema nur zwei Positionen: Richtig und Falsch. Und er hatte zu jedem Thema eine feste Meinung und für Menschen ebenso feste Schubladen. Gammler, Punker, Junkies, Kanacken, Hippies, Rowdies, Zigeuner und viele mehr, in der Regel um den Zusatz -Pack erweitert, bevölkerten seine Welt, und er hatte für jeden davon einen ganzen Schrank voll passender Vorurteile parat. Genug, um seine Umwelt ausgiebig daran teilhaben zu lassen. Ich glaube, er war manchmal nur eine Haaresbreite davon entfernt, das Wort „Volksschädling“ auszusprechen. Natürlich war er auf der Richtigen Seite, und alle diese Leute auf der Falschen.

Vermutlich gibt es für einen Jungen nur zwei Optionen, wie er auf so einen Vater reagieren kann, die erste ist der Weg der bedingungslosen Anpassung. Sven wählte den anderen Weg.
So war es kein Wunder, dass er von uns dreien der erste war, dessen bis dato eher subtile Andersartigkeit sich auch optisch Bahn zu brechen begann.

Aber es war bereits diese subtile Andersartigkeit gewesen, die uns drei ursprünglich zusammen geführt hatte. Und ich denke, bei allen von uns war es einerseits das Gefühl, in der schwäbischen Provinzmiefigkeit eingesperrt zu sein. Ich meine, wenn man zwischen Stuttgart und Heilbronn aufwächst, im Einflussbereich der langweiligsten Großstadt Deutschlands also, und Ausflüge in die hässlichste Kleinstadt des Landes bereits kulturelle Highlights darstellen, dann macht einen das einfach hippelig.
Aber das Schlimmste war, wie sich die Leute hier damit arrangiert zu haben schienen. Die Region fährt in Umfragen regelmäßig höchste Werte bei der Lebenszufriedenheit ein. Das ist hart zu akzeptieren, wenn man selbst eigentlich die meiste Zeit nur weg will. Weg von dieser aufgesetzten Idylle und weg von diesem Gefühl der ständigen sozialen Kontrolle.
Und das war vermutlich der andere Punkt. Unsere Eltern hatten sich in ihrer Unterschiedlichkeit dennoch alle irgendwie arrangiert. Und sie lebten mit einer Selbstverständlichkeit ein Leben, das wir auf keinen Fall als Modell für unsere eigene Zukunft übernehmen wollten. Nicht, dass es uns damals schon auf diese Weise klar gewesen wäre. Nichtsdestotrotz spürte ich, dass der alternative Anspruch meiner Eltern nicht zu ihrem Lebensstil passte. Julia wusste, dass sie auf keinen Fall das Lebens- und Rollenmodell ihrer Mutter übernehmen wollte. Und Sven schließlich stemmte sich verzweifelt dagegen, so zu werden wie sein Vater, und so lehnte er kategorisch all dessen Werte ab. Das Drama war nur, dass er in seiner Ablehnung nicht merkte, wie er zunehmend dessen schwarz-weiße Weltsicht übernahm, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen.

Natürlich prägen uns unsere Eltern und natürlich übernehmen wir unbewusst und ungewollt vieles von ihnen. Julia ist trotz Allem, trotz ihres Magna-Cum-Laude-Psychologie-Diploms und ihrem Job eine der weiblichsten Frauen, die ich kenne. Und ich habe die liberale und humanistische Grundhaltung meiner Eltern und ihre Wertschätzung von Wissen und Bildung ebenso verinnerlicht.

Nur bei Sven sollte sich diese Saat als in dem Maße zerstörerisch erweisen. Aber ich greife vor. Betrachten wir unser Trio im Alter von 13 Jahren. Im Moment bin ich der Größte von uns dreien, gefolgt von Julia. Sven ist der Kleinste. Noch. In einem halben Jahr wird der Wachstumsschub einsetzen, der ihn zu dem Hünen machen wird, der er heute ist. Aber noch ist er klein und drahtig und der beste Fußballer der Klasse. Allerdings ist er im Sportunterricht aufgrund seines Temperaments gefürchtet. Ich bin für mein Alter etwas zu groß geraten, und darum bewege ich mich linkisch. Das leichte Übergewicht macht es nicht besser. Mein Talent ist das Zeichnen. Ich bin permanent am Kritzeln. Meine Hefte, Blöcke und selbst Mäppchen und Schulranzen sind übersät mit nicht besonders originellen Darstellungen von Monstern und menschlichen Schädeln. Ab und zu spielen auch Schwerter, Äxte und Schusswaffen eine Rolle. Ich verziere auch regelmäßig Svens Oberarme mit solchen Bildern. Irgendwann werden diese vergänglichen wasserlöslichen Tinten-Zeichnungen durch richtige Tattoos ersetzt werden. Er trägt vermutlich heute noch mindestens drei Pieces nach meinen Motiven.

Julia ist ein hübsches, dunkelhaariges Mädchen, das zwar gute Noten schreibt, aber von ihren Lehrern gerne als verschlossen bezeichnet wird. „Man sieht dieses Kind nie lachen“, erzählt man sich im Kollegium. Das weiß ich von meiner Mutter. Aber das stimmt so nicht. Sie haben es nur auf die falsche Weise versucht. Mit uns, Sven und mir, lacht Julia gerne und oft. Aber die anderen teilen einfach nicht unseren tiefschwarzen, makaberen und bisweilen bitterbösen Humor.

Das Makabere, Morbide fasziniert uns alle drei, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Bei Julia beginnt es mit Büchern. Stephen King, Anne Rice, später Lovecraft und Poe. Bei mir fängt es mit Spielen und Comics an. Neil Gaiman's Sandman- und Death-Graphic Novels. Sven dagegen entdeckt als erster die Musik. Natürlich ist Musik grundsätzlich in Form vom Einheitsbrei des 90er-Euro-Dance allgegenwärtig, auch der Schlager feiert sein Revival, aber für uns wird Musik wie für so viele andere in diesen Jahren zu einer Identitäts- und Abgrenzungsplattform.
Ab und an hörte man auch im Mainstream Bands und Musiker, die einen auf einen anderen Pfad führen. Bei Sven führt dieser Weg über Nirvana und Rage Against the Machine, die zu Beginn des neuen Jahrzehnts Furore machen, hin zu Punk, Hardcore und schlussendlich wirklich abgefucktem Metal. Er kauft sich von seinem ersten Ferienjobgeld eine E-Gitarre.
Julia und ich dagegen biegen musikalisch kurz danach in eine Parallelstraße ab. Unser Erweckungserlebnis feiern wir gemeinsam mit einer Platte, die ich hinten im Regal des örtlichen Mediamarkts entdecke: Dark Star von Deine Lakaien.

Inzwischen hat bei Sven der bereits erwähnte Wachstumsschub eingesetzt. Er schießt in die Höhe, aber wo andere Jungs in seinem Alter schlaksig und ungelenk werden, wachsen seine Schultern und seine Muskulatur proportional mit. Mag damit zusammen hängen, dass er inzwischen den Fußball aufgegeben und stattdessen das Boxen angefangen hat. Kaum, dass er größenmäßig mit seinem Vater gleichgezogen hat, beginnt er sich die Haare wachsen zu lassen. Mit 15 reichen sie ihm schon weit über die Schultern. Und natürlich färbt er sie schwarz.

Ist schon komisch mit der Pubertät. Vorher war ich der Größte in unserem Trio und der zweitgrößte in unserer Klasse. Dann zog erst einmal Julia an mir vorbei, und dann ein Jahr später Sven an uns beiden. Als Julia schließlich ihr vertikales Wachstum bei soliden 1.68 m beendet hatte, und stattdessen auf überaus anziehende Weise selektiv in die Breite und Tiefe wuchs, überholte ich sie schnell, und zog fast wieder mit Sven gleich.

Jetzt sind wir 16. In meinem Schrank findet sich kein Kleidungsstück mehr in einer anderen Farbe als Schwarz. Meine Eltern sind zwar einigermaßen verunsichert, lassen mich aber gewähren, denn sie erziehen mich ja liberal. Ich trage meine Haare an den Seiten auf wenige Millimeter kurz geschnitten, aber oben auf dem Kopf sind sie länger, schwarz gefärbt, und mit Haarspray zu einem Klotz geformt. Heute tragen Möchtegerngangster diese Frisur, aber damals war es eine typische Frisur für die Fans düsterer elektronischer Musik.

Julia trägt ebenfalls schwarz. Ihre Haare färben darf sie nicht, dafür schminkt sie sich stark. Sven und ich sind von Natur aus eher blass. Julia hat dagegen einen fast mediterranen Teint, sobald sie sich einige Minuten der Sonne aussetzt. Dem begegnet sie mit einer Menge weißen Puders. Als Kontrast sind ihre Augen tiefschwarz umrandet. Julia und ich sind jetzt Goths.

Sven ist an dem Punkt, an dem es ihm egal ist, was seine Eltern zu seinem Outfit sagen. Seit er seinem Vater körperlich überlegen ist, hat dieser jegliche Autorität über ihn verloren. Er hat sich das erste Tattoo stechen lassen, einen von mir entworfenen Schädel (inzwischen bin ich richtig gut geworden), und trägt fast ausschließlich Army-Hosen mit knapp unterm Knie abgeschnittenen Beinen und T-Shirts mit an der Schulter abgeschnittenen Ärmeln. Man soll das Tattoo und seine trainierten Oberarme ruhig sehen.
Für Svens Vater ist er ein „Gammler“ und manchmal auch ein „Punker“ und wir sind „Satanisten“.
Für die andren sind wir „Die Freaks“ oder „Die Addams Family.“ Dieser Spitzname etabliert sich langsam.

„Die anderen“ ist dann bald auch unsere Sammelbezeichnung für alle außer uns. Lehrer, Eltern, die ganze Gesellschaft und natürlich weiterhin unsere Mitschüler. Mit Ursache und Wirkung ist das so eine Sache. Bei wechselseitigen Abneigungen ist immer schwer zu sagen, wer damit angefangen hat. Lehnen wir sie ab, weil sie uns ablehnen, oder lehnen sie uns ab, weil wir sie ablehnen, und das auch zeigen? Wer grenzt sich von wem ab?

Während wir, also Julia und ich, unserer Umwelt zunehmend mit herablassendem Desinteresse begegnen, entwickelt Sven einen Hang zur Aggressivität. Das ist vor Allem Julia ein Grund zur Sorge, denn Julia ist jetzt mit Sven zusammen. Ein Fakt, der für mich nur sehr schwer zu ertragen ist, denn ich bin ebenfalls bis über beide Ohren in sie verliebt.





Meine Stories

Stories Übersicht

Vorspiel (M/f)
Evi (M/f)
Rock'nRoll Queen (M/f) 
Interruptus (M/f)
Ivana (MF/f)
Leseprobe: das Schwarze Buch (M/f)